Samstag, 3. März 2018

Multiple Sklerose - Interview mit Caroline Régnard-Mayer



Multiple Sklerose und wie man damit lebt! Interview mit Caroline Régnard-Mayer Autorin und Bloggerin






Liebe Caroline, zuerst einmal bedanke ich mich dafür, dass du mit mir offen über eine schwere Krankheit sprichst, die den Meisten „vom Hörensagen“ vielleicht bekannt, aber dennoch nicht begreifbar scheint. Kannst du uns etwas über die Krankheit MS erzählen?

Caroline Régnard-Mayer: Multiple Sklerose, abgekürzt MS, ist eine unheilbare Krankheit. Es ist eine neurologische Erkrankung, die das zentrale Nervensystem (ZNS) betrifft und eine Autoimmunerkrankung d.h. körpereigene Zellen richten sich gegen das ZNS. Es kommt durch den Angriff der T-Zellen zu Entzündungen im Gehirn, HWS oder BWS-Bereich. Unsere Nervenfasern werden von einer sogen. Myelinschicht ummantelt, diese werden durch die Entzündung angegriffen. Es kommt zu Verhärtungen (Sklerosen). Die MS zeigt bei jedem Betroffenen verschiedene Symptome (z.B. Sehnerventzündungen, Gang- und/oder Sensibilitätsstörungen, Blasenstörungen, Taubheits- und/oder Missempfindungen etc.) und bei jedem verläuft die Krankheit anders, deswegen multiple. 

Du kannst dir das so vorstellen: Wird ein Kabel an deiner Lampe beschädigt, dann kann es den Strom nicht mehr weiterleiten. So ist es bei der MS. Impulse, die dir zum Beispiel sagen (Reizweiterleitung ans Gehirn), dass du ein Fuß an den anderen setzen sollst, ist gestört, denn die Nervenleitungen sind entzündet/unterbrochen. Man stirbt an der MS nicht und es gibt verschiedene Verläufe: schubförmige und chronisch progrediente Formen.

Wann hast du die Diagnose selbst bekommen und wie bist du im 1. Moment damit umgegangen?

Caroline Régnard-Mayer: Meine Diagnose bekam ich 2004, aber nach der Geburt meiner Tochter 1995 zeigten sich erste Symptome. Ich nahm die Diagnose wie durch einen Tunnel war, konnte kaum denken. Ich war verzweifelt, gelähmt, fassungslos und hatte zuerst keinen Mut, nur Hoffnungslosigkeit. Denn ich stand mit zwei Kindern (5,2) alleine da. Getrennt von meinem Mann, der selbst an einem Gehirntumor erkrankt war. Ich brauchte Jahre um die MS endgültig zu akzeptieren. Heute blicke ich positiv in die Zukunft trotz erste Behinderungen.

Wie sehr hat die Diagnose dein Leben verändert? 

Caroline Régnard-Mayer: Schlagartig war nichts mehr wie vorher. Durch zwei schwere Schübe in der Probezeit, denn ich hatte eine Woche nach der Diagnose eine Arbeitsstelle als MTA in einer Klinik angenommen, wurde ich entlassen. Von da ab bekam ich eine EU-Rente. Ich hielt uns die ganzen Jahre bis Juni 2016 mit Minijobs über Wasser. Seit Juli und einer weiteren Verschlechterung ist auch das nicht mehr möglich. 

Auch der Alltag musste neu geregelt werden. Meine Kinder musste ich ganztägig am Kindergarten und der Schule anmelden. Durch viele Schübe und damit verbundenen Klinikaufenthalte oder Cortisontherapien, schaffte ich sonst unseren Alltag nicht. Erste Freunde wendeten sich ab. Aber jetzt sind die Kinder groß und mit Hilfe meiner Eltern habe ich alles geschafft.

Du engagierst dich seither sehr für die Aufklärung dieser Erkrankung und bist in verschiedenen Vereinen tätig. Wie sieht die Arbeit dort aus?

Caroline Régnard-Mayer: Seit 2009 schreibe ich Bücher über das Thema MS und Depression, denn auch diese Krankheit zog bei mir ein. Sofort nach der Diagnose 2004 bin ich in die Landauer Selbsthilfegruppe gegangen. Ich bin dort als stellvertretende Gruppenleiterin (2009-2013) und seit 2013 Gruppenleiterin. Wir gehören zum Landesverband der DMSG Rheinland-Pfalz. Mir macht die Arbeit riesigen Spaß, sie kostet auch viel Zeit und Kraft, aber durch positive Rückmeldungen ist dies eine tolle Bestätigung, um in Zukunft auch weiter zu machen. Unsere Welt-MS-Tage, die wir in der Gruppe organisierten, kamen in der Bevölkerung sehr gut an.

Auch, hast du Bücher über MS und Depressionen geschrieben. Erzähle uns doch bitte etwas über deine Bücher!

Caroline Régnard-Mayer: Während meiner schlimmsten Depression meines Lebens schrieb ich ein Buch darüber, somit hangelte ich mich selbst heraus, auch mit Unterstützung einer Psychotherapeutin und Medikamente. Meine Erfahrungen habe ich in diesem Buch niedergeschrieben und es freut mich sehr, dass viele Betroffene mir schrieben, dass ich ihnen wieder Mut machte. Das ist das schönste am Schreiben, die positiven Rückmeldungen. Im Jahr 2009 brachte ich mein erstes Buch über die Krankheit MS heraus. Es ist eine Biografie und es folgenden weitere, da viele Leser wissen wollten, wie es bei mir weiterging und wie ich mit der Erkrankung umgehe. 

Es sind Bücher, die meine Sichtweise erzählen, aber auch Mutmacherbücher. Dann folgenden zwei Ratgeber über unsichtbare Symptome bei MS (denn nicht jedem sieht man die Krankheit an, erntet aber ständig unmögliche Kommentare der Mitmenschen) und über die Blase und ihre Macken. Meine Ernährung spielt eine Rolle in meinem Leben, meine Erfahrung schrieb ich in zwei Kochbücher nieder. Mittlerweile ist einiges von mir erschienen und alle sollen als Hilfe angesehen werden in dem ganzen Dschungel der MS, sollen Mut und Hoffnung geben, aber auch Angehörigen eine Hilfestellung sein.

Welche Erfahrungen machst du auf deinen Lesungen? 

Caroline Régnard-Mayer: Erst gestern (11/16) hatte ich eine Lesung und viele Interessierte kamen, auch wenn ich dieses Mal aus meinem Weihnachtsbüchlein und meinem Roman (hier schreibe ich unter Pseudonym) vorgelesen habe. An den Lesungen mit meinen Büchern über die MS oder die Depression freut mich immer wieder, wie interessiert das Publikum ist, viele Fragen werden gestellt und auch Nicht-Betroffene interessieren sich für das Thema. Oft sind es Angehörige, aber auch nur Interessierte.

Du bist auch als Gruppenleiterin der Landauer MS-Selbsthilfegruppe tätig. Wie läuft es dort ab und wie sehr kann es Betroffenen helfen?

Caroline Régnard-Mayer: Für mich war es damals nach der Diagnose wichtig sofort in die SHG zu gehen, die beste Entscheidung. Aber viele Betroffene bleiben fern und gehen anders mit ihrer MS um. Manche finden nach Jahren erst den Weg zu uns. Ich bekomme sehr oft Anrufe, in denen sich Betroffene oder auch Angehörige erst einmal von mir alles erklären lassen, über den Ablauf der Treffen oder die Erkrankung (Ärzte, Ämter, Prospekte…). Ein Austausch zwischen Betroffenen kann sehr hilfreich sein, denn wir sitzen im gleichen Boot und können mitfühlen, können helfen und zuhören. Anders oft wie die Familie oder Mitmenschen. 

Ich als Gruppenleiterin stehe eng mit der DMSG in Mainz (Landesverband) und unserer zuständigen Pädagogin in Verbindung, versuche mich auf den neusten Stand was Therapien, Ämter, Gesetze etc. Unsere Selbsthilfegruppe (SHG) trifft sich einmal im Monat zum Erzählen, austauschen und ich informiere alle über das Neuste von der DMSG, Medikamente, Vorträge etc., dann essen wir in gemütlicher Runde. Wir treffen uns in einem Nebenraum eines Restaurants in Landau.

Welche Therapiemöglichkeiten hast du? Was macht dir den Alltag leichter?

Caroline Régnard-Mayer: Regelmäßig muss ich zur Krankengymnastik wegen Spastiken und sonstige Beschwerden. Wegen meiner Sprachstörungen die immer wieder zurückkehren, gehe ich zur Logopädie. Da sich meine linke Hand verschlechtert hat, kommt jetzt noch Ergotherapie dazu. Medikamentös nehme ich einiges: gegen den Trigeminusschmerz, den neuropathischen Schmerzen in den Beinen, Medikament für die Blasenschwäche und ein Antidepressiva.

Ansonsten bin ich austherapiert und warte auf neue Medikamente gegen die MS.

Wie geht es dir an „schlechten“ Tagen? Wie überstehst du diese Schübe? 

Caroline Régnard-Mayer: Ich habe keine Schübe mehr, da ich mittlerweile die chronisch sekundär progrediente Verlaufsform habe. Hier kommt es mit der Zeit zu weiteren Verschlechterungen und Behinderungen. Die Zeiten der Schübe und die vielen Cortisstoßtherpien sind zum Glück vorbei, denn die haben mir auch viel Kraft und Nebenwirkungen gekostet. Wie gehe ich damit um? Akzeptiere, was nicht zu ändern ist und nehme Therapien in Anspruch, die mein Krankheitszustand etwas aufhalten können. Außerdem nehme ich statt Stock jetzt öfters den Rolli.

Du zeigst den Menschen auf, dass du trotz Erkrankung dein Leben selbst in die Hand nimmst, und weiterhin das Gute in der Welt siehst! Woher kommt diese positive Energie? Woher nimmst du diese bemerkenswerte Kraft?

Caroline Régnard-Mayer: Das fragte mich auch meine Tischnachbarin in der Selzer-Klinik. LACH. Ich nehme wie es kommt, denn nicht alles kann man ändern im Leben und eine positive Lebenseinstellung lasse ich mir durch die MS nicht nehmen. Mit Humor lebt es sich besser und an schlechten Tagen lasse auch ich mal den Kopf hängen. Dann heißt es bei mir wieder: Als weiter! Durch meinen Blog erreiche ich sehr viele Menschen und es ist so toll der Austausch mit ihnen. 

Gibt es Dinge, die du vielleicht nicht mehr so machen kannst, wie noch vor der Diagnose?

Caroline Régnard-Mayer: Tanzen, ausgehen spät abends, wandern, lange Spaziergänge, ungezwungenes spontanes Treffen mit Freunden, viele Menschen um mich herum- nur bedingt und nicht zu lange, lange Vorträge, nicht mehr als MTA arbeiten oder Minijob ausüben, gewisse Dinge im Haushalt erledigen (Fenster putzen …), versuche Saxofon zu lernen- kapiere es einfach nicht mehr, shoppen nur bedingt … Solange ich schreiben kann, bin ich glücklich!!! ;-)

Gibt es Wünsche und Träume, was du alles in Zukunft noch erreichen und anpacken möchtest?

Caroline Régnard-Mayer: Eine Reise nach Norwegen, auf den Eifelturm hochfahren und ein Wunschzettel herunterfliegen lassen, meine beiden Kinder lange begleiten zu können, eine Wohnung im betreuten Wohnen mit schönem Balkon und Aussicht, nach Wien zu meiner Freundin reisen und eine Autorenfreundin in Leipzig besuchen, ein neues Medi nehmen, wenn es endlich gefunden wird für den Sek. progr. Verlauf.

Zum Schluss: Was möchtest du den Lesern noch mit auf den Weg geben? 

Caroline Régnard-Mayer: Die MS bedeutet nicht das Ende, sondern kann auch ein Neuanfang sein. Bevor ihr den Kopf in den Sand steckt, dann schreibt mir. Es geht immer weiter, eben anders. Sucht euch neue Hobbies oder was ihr immer schon einmal machen wolltet. Es muss nichts Unmögliches sein. Im Kleinen steckt schon eine große Wirkung. Nur Mut, ihr schafft das!

Findet ihr nicht auch, dass Caroline eine ganz besondere Frau ist? Kennt ihr vielleicht auch schon ihre Bücher?



Caroline ist für mich eine bemerkenswerte Frau! Sie beweist uns, dass man trotz schwerer Erkrankung am Leben teilnehmen kann und auch muss, um seine Lebensqualität zu verbessern. Liebe Caroline, ich danke dir sehr für dieses sehr persönliche Interview und wünsche dir für deine Zukunft beruflich wie privat alles Gute und weiterhin viel Erfolg! 




10 Kommentare:

  1. Liebe Nadine,
    deine Fragen waren echt klasse, selten so gut gestellt. ES hat mir viel Spaß gemacht mit dir zu "reden" und hoffe so sehr, dass viele Betroffene einfach den Mut nicht verlieren.
    <3 DANK, ganz liebe Grüße
    Caro

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    1. Mir sind gerade solche "Projekte" schon immer eine Herzensangelegenheit. Es soll ja auch Aufklärungsarbeit leisten und den Laien verständlich machen, was diese und andere Krankheiten für den Betroffenen bedeuten. So erhoffe auch ich mir, dass die Gesellschaft sensibler und auch aufmerksamer wird. Danke dir nochmal Caro für die Beantwortung meiner Fragen.

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  2. Ich finde auch, dass die Fragen gut gestellt sind.
    Ich habe selbst MS (kenne Caroline auch aus FB Gruppen, in der wir beide sind). Ich wußte gar nicht, dass du auch Romane schreibst, Caro 😊. Gut so, man kann sich nicht immer nur mit MS beschäftigten.

    Liebe Grüße,
    Bettina 🙋

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    1. Da gebe ich dir recht Bettina! Man kann sich nicht immer nur mit seiner Erkrankung beschäftigen, am Leben teilhaben gehört nach wie vor dazu und das hat Caroline im Interview wie ich finde auch ganz toll erklärt.

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  3. Ein wirklich sehr schönes und informatives Interview.
    Einen schönen Tag gewünscht :-)

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    1. Schön, wenn solche Themen auch ernst genommen werden. Danke dafür! Aufklärung finde ich schon sehr wichtig. Auch bei anderen Krankheiten. Deswegen möchte ich auch darüber aufklären auf meinem Blog.

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  4. Danke für dieses sehr umfangreiche und informative Interview. Ich habe mich im Rahmen meines Studiums schon mal mit MS auseinander gesetzt, aber MS an sich war für mich eher weit weg. Vor ein paar Wochen hat ein sehr guter Freund von mir jetzt die Diagnose MS bekommen,und auf einmal ist MS gar nicht mehr so weit weg. Ich finde es sehr gut, dass du (bzw ihr beide) mit diesem Interview wichtige Aufklärungsarbeit machst und eben zeigst, das MS kein Grund zum Aufgeben ist. Ich fand dieses Interview sehr ermutigend und aufschlussreich. Danke euch!

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  5. Ich habe zwar keine MS, aber Spastik durch eine Entzündung im zentralen Nervensystem. Das Interview hat mir neue Impulse für meine Krankheit gegeben. Ich werde mal auf den Blog nachschauen, vielleicht finde ich noch etwas für mich. Danke Nadine für die Fragen, danke Caroline Régnard-Mayer für die offenen und informativen Antworten.
    Lydia Mayer

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    1. :-) Es freut mich sehr Lydia, dass auch dir der Beitrag hilft! Ich wünsche euch nur das Beste und das ihr noch lange an Lebensqualität habt!

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